Memorials / Reden

Elisabeth Steinhagen-Thiessen

Universitätsklinikum Charité &
Evangelisches Geriatriezentrum Berlin


Wir alle sind hier zum Gedenken an Margret Baltes versammelt -- wir sind zur Trauer um den Verlust dieser wunderbaren Person zusammengekommen. Die Verstorbene öffentlich zu loben und zu versichern, daß man sie vermissen werde, ist unser üblicher Ausdruck von redlicher Trauer.

Was für ein Schock, welch ein Gefühl und welche Bedrückung ergriff mich, als mich diese Nachricht heute vor einer Woche morgens um 8.30 Uhr bei einer Sitzung erreichte. Ich habe Margret Baltes stets bewundert und auch verehrt. Sie war für mich ein Vorbild in verschiedenen Rollen: als Mutter, als Ehefrau, als Wissenschaftlerin, und sie war eine Freundin. In all diesen Rollen hat sie Vorbildliches geleistet.

Ich möchte von der allerersten und unserer allerletzten Begegnung berichten. Im Sommer 1987 -- es war sehr heiß -- ging ich vor der Neurologie des Krankenhauses Westend auf und ab, wartend, mir die Zeit vertreibend, bis ich mit meinem Probevortrag an der Reihe war. Margret Baltes war in der Berufungskommission. Ich war gespannt auf diese Frau, kannte sie noch nicht. Zur Vorbereitung auf diesen Tag hatte ich mir ihre Arbeiten über die Pflegeheime, die Interaktion zwischen Pflegenden und Bewohnern besorgt. Plötzlich kam eine drahtige, sportliche Frau angeradelt, stellte ihr Fahrrad vor der Neurologie ab, warf sich einen schwarzen Lederrucksack über die Schulter -- dies alles geschah mit flinken und beschwingten Bewegungen -- und verschwand im Gebäude.

Das ist sie gewesen.

Nach meinem Vortrag stellte sie mir die wesentlichsten Fragen; sie wollte genau wissen, wie es mit der Adaptationsfähigkeit im hohen Alter unter körperlichem Training sei. In den nächsten Jahren konnte ich erfahren, daß Margret Baltes nicht nur klug war, sondern sie fiel immer wieder durch ihre Eigenständigkeit im Denken auf -- ich möchte sie als "denklustig" und querdenkerisch beschreiben. Auch als diejenige, die immer kritisch hinterfragte und ungewöhnliche und auch unerwartete Fragen stellte.

Die vielen gemeinsamen Sitzungen und die Arbeit in Gremien mit Margret Baltes waren für mich immer durch eine gute, friedliche und sachliche Atmosphäre gekennzeichnet. Sie war eine kämpferische Frau und wußte immer, was sie wollte. In einer für mich bewundernswerten Weise hat sie es immer verstanden, leise und völlig ohne aggressiven Unterton zu kämpfen. Wie hat sie es nur geschafft, trotz oft kontroverser Meinungen und Auslegungen so viel Harmonie zu verbreiten und dabei fast lautlos für eine Sache zu kämpfen?

In unserem letzten Gespräch unterhielten wir uns darüber, wie wir unser Alter, die Zeit nach der Pensionierung gestalten wollen, und vor allem sprachen wir darüber, wo wir leben wollen. Auf jeden Fall wollten wir alles besser machen als alle anderen. Margret sagte, für sie sei es wichtig, nicht zu weit weg von einer Großstadt und von guter medizinischer Versorgung zu leben.

Wir sprachen darüber, was mit uns wohl passiert, wenn unsere Kinder Kinder bekommen, und wenn wir in die Rolle von Großmüttern schlüpfen würden. Margret sagte: "Vielleicht erlebe ich das bald -- ich freue mich darauf!". Aber die Kinder denken, glaube ich, im Moment noch sehr an ihre Karriere.

In Deutschland und auch in den USA ist es ja immer noch nicht so einfach für Frauen, Karriere und Kind gut und ohne Abstriche miteinander zu verbinden. "Aber manchmal finde ich es doch ein bißchen schade, daß die Kinder so weit weg sind", sagte sie.

Dann sprachen wir darüber, daß man viele Freunde hat, die aber nicht unmittelbar um uns herum, sondern in anderen Städten und Ländern leben. Wir waren uns darüber einig, daß wir in einer ziemlich privilegierten Situation leben mit den Möglichkeiten, viel zu reisen und Kinder und Freunde dadurch öfter zu sehen. Am Schluß dieses Abends erzählte sie mir von den Plänen für ihren Geburtstag im kommenden Monat und wie sie sich freue.

Und nun dieses plötzliche Ende, das uns ratlos zurückläßt. Erinnerungen bleiben uns. Wie kann es weiter gehen? Im Jenseits? Im Diesseits?

Goethe sagt in Hermann und Dorothea:
 
 

Des Todes rührendes Bild steht.
Nichts als Schrecken dem Weisen
und nichts als Ende dem Frommen.
Jenen drängt es ins Leben zurück
und lehret ihn handeln.
Diesen stärkt es, zu künftigem Heil,
im Trübsal der Hoffnung:
Beiden wird zum Leben der Tod.
 

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