Psychologische Rundschau, 50 (4), 237, 1999

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Nachruf auf Margret M. Baltes

Am 28. Januar 1999 starb Margret M. Baltes. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag wurde sie durch ein akutes Herzversagen aus einem arbeitsreichen, aber auch ungewöhnlich erfolgreichen und erfüllten Leben gerissen. Die deutsche Psychologie und Gerontologie hat in Margret Baltes eine ihrer profiliertesten Persönlichkeiten verloren, und über diesen engeren Kreis hinaus betrauern viele Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland den Tod einer liebenswürdigen Freundin, Mentorin und Wissenschaftlerin.

Margret Baltes war in ihrem wissenschaftlichen Werk ebenso wie in ihrer persönlichen Lebensführung von einem Leitgedanken inspiriert: Wir stehen unserer Entwicklung, und unserem Altern, nicht passiv, sondern aktiv-gestaltend gegenüber, und nicht zuletzt sollten wir -- als Psychologen -- dazu beitragen, diese Sichtweise in den institutionellen, kulturellen und zwischenmenschlichen Sphären, in denen Altern stattfindet, zu befördern. Margret Baltes hat diesen programmatischen Ansatz in mehreren Linien ausgearbeitet. In ihren Arbeiten zur Abhängigkeit älterer Menschen zeichnete sie Wege zur Überwindung eines institutionalisierten "Abhängigkeits-Skripts"; die Summe dieser Forschungen hat sie in ihrem Buch "The many faces of dependency in old age" (Cambridge University Press, 1996) gezogen. Zusammen mit ihrem Mann, Paul Baltes (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin) hat sie an der theoretischen Grundlegung der Aktivitäten und Prozesse gearbeitet, die zu Wahrung einer positiven Bilanz von Gewinnen und Verlusten im Alter beitragen: Das Modell der selektiven Optimierung und Kompensation ist die international wohl am meisten beachtete theoretische Konzeption auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie des höheren Alters. Margret Baltes hat sich allerdings nicht mit dem rein akademischen Erfolg ihrer Arbeit begnügt. Vielmehr galt ihr Interesse auch praktischen Implikationen und Anwendungen, etwa im Hinblick auf die Gestaltung von Altenheimen oder Ausarbeitung eines Trainingsprogramms für Pflegende.

Margret M. Baltes hat die Vision einer "vita activa" auch in ihrem wissenschaftlichen Werdegang beispielhaft verwirklicht. Nach ihrer Diplomprüfung an der Universität des Saarlandes erwarb sie im Jahre 1973 den Ph.D. in Experimentalpsychologie an der West Virginia Universität; in der Folge war sie als Assistant Professor und Associate Professor an der Pennsylvania State University tätig. Im Jahre 1984 übernahm Margret Baltes eine Professur an der Freien Universität Berlin; sie leitete dort die Forschungsgruppe Psychologische Gerontologie in der Abteilung für Gerontopsychiatrie. Aus dem von ihr zu internationalem Ansehen geführten Institut sind nicht nur wichtige fachliche Beiträge, sondern auch hervorragend qualifizierte junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorgegangen. Als eine letzte große Aufgabe hat Margret Baltes das Graduiertenkolleg „Psychische Potentiale und ihre Grenzen im Alter" auf den Weg gebracht. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses war ihr eine erfüllende Aufgabe; ihre Doktorandinnen und Doktoranden beklagen den Tod einer Mentorin, die sie mit großem Engagement und, auch aufgrund ihrer weitgespannten internationalen Beziehungen, mit großer Effektivität gefördert hat und die sie mühelos zu motivieren und zu begeistern wußte.

Margret Baltes hat viele Auszeichnungen erfahren. So erhielt sie unter anderem den "Dr. Günther-Buch-Preis" der Johanna und Fritz Buch Gedächtnisstiftung (1994), den Distinguished Mentorship Award der Gerontological Society of America (1994), den Charlotte Towle Research Award der University of Chicago (1984); von 1987 bis 1997 war sie an der Universität Trier als Honorarprofessorin tätig. Sie war Mitglied der Editorial Boards mehrerer wichtiger Fachzeitschriften (Psychology and Aging, International Journal of Behavioral Development, Zeitschrift für Verhaltenstherapie, Zeitschrift für Gerontopsychologie und -geriatrie). Es würde zu weit führen, ihre vielfältigen Tätigkeiten als Beraterin in wichtigen Gremien der Wissenschaft und Politikberatung hier zu benennen. Mehrere Forschungsaufenthalte führten sie an die Universität Stanford, wo sie in kooperativen Projekten Anregungen empfing und gab.

Freundlichkeit und Sensibilität verbanden sich bei ihr mit einer unprätentiösen und geradlinigen Einstellung; diese besonderen menschlichen Eigenschaften haben ihr Bewunderung und Freundschaft eingebracht. Wie William James einmal bemerkte, bedeutet jede Expansion des eigenen Selbst Freude und Bürde zugleich; die Bürde hat man Margret Baltes nicht angemerkt.

In den Lebensformen und akademischen Gefilden Deutschlands und der Vereinigten Staaten gleichermaßen beheimatet, war Margret Baltes eine Botschafterin, die zur internationalen Verflechtung und Verständigung auf ihrem Gebiet beigetragen hat. Sie hat als Wissenschaftlerin, Mentorin und Anwältin für die Belange älterer Menschen ein bedeutendes Lebenswerk hinterlassen. 


Jochen Brandtstädter

 
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